Endlich wieder Berlin
„Ihr müsst für unsere Werte einstehen. Kämpft für Freiheit und Gleichheit, Toleranz und Vielfalt – leider ist dies auch bei uns in Deutschland in Gefahr, wenn wir nicht aufpassen.“ Der, der das sagt, muss es wissen. Denn er hat es erlebt, wie es ist, wenn man nicht frei seine Meinung sagen darf, wie es ist, wenn man sich nicht frei bewegen darf, und wie es ist, wenn man es doch macht, dafür ins Gefängnis gesteckt zu werden. Karl-Heinz Richter verhalf über 30 Personen zur Flucht aus der DDR in die BRD. Bei dem misslungenen Versuch, diesen Weg selbst zu gehen, indem er es wagte, auf den Moskau-Paris-Express aufzuspringen, brach er sich beide Füße und das Handgelenk – und wurde inhaftiert.
Eindrücklicher als durch einen Zeitzeugen bei einer Führung durch das Stasigefängnis Hohenschönhausen im Rahmen der Berlin-Studienfahrt können den Schülerinnen und Schülern der K 1 die Verhältnisse in der DDR nicht näher gebracht werden. Und dies ist auch das Ziel solch einer Studienfahrt: Geschichte(n) erlebbar zu machen. Denn endlich ist dies wieder möglich.
Nach über zwei Jahren des Verbots außerunterrichtlicher Veranstaltungen auf Grund der Corona-Pandemie machten sich 47 angehenden AbiturientInnen mit ihren LehrerInnen Diana Kugler, Tobias Erles, Stefan Pfeiffer und Stefan Weber Ende Juli auf in die Hauptstadt Deutschlands. Nicht ohne Risiko bei einer Inzidenz von über 1000 – aber, um es vorwegzunehmen, es ging alles gut.
So konnte man also, zumeist zu Fuß, das „Venedig an der Spree“ (Berlin hat mehr Brücken als Venedig) kennen lernen. Entweder in Kleingruppen nach eigener Lust und Laune, zumeist aber geführter Weise. Und so gab es weitere Geschichte(n), die nachhallen.
So zeigte uns etwa Norbert, der über ein Jahr als Obdachloser in Berlin gelebt hat, ganz andere Seiten der Stadt abseits des Glanzes und des Glamours. Wo schläft es sich am besten unter freiem Himmel? Wo bekommt man medizinische Hilfe oder eine warme Dusche? Wo etwas zu essen? Und wie hilft man als Passant am ehesten Obdachlosen?
Da auch der in Klasse 9 eigentlich obligatorische Besuch des KZs Struthof-Natzweiler ausfallen musste, war es der Wunsch der Schülerschaft, diese „Lücke“ durch einen Besuch des KZs Sachsenhausen zu ersetzen. Also machte man sich auf, um das außerhalb der Stadtgrenzen im Norden gelegene Konzentrationslager aufzusuchen. Mit Hilfe von Audioguides konnte jede/r ganz individuell auf dem weitläufigen Gelände die Orte nationalsozialistischer Verbrechen aufsuchen und sich über eingespielte Erzählungen Überlebender den Horror näher bringen lassen. So gab es z.B. eine „Schuhprüfstrecke“, auf der die Häftlinge mit Marschgepäck in unterschiedlichen Schuhen Tag für den Tag und bei Wind und Wetter Stiefel, die selten passten, für die Wehrmacht zu testen hatten – eine Tortur.
Natürlich gehörten auch die üblichen Sehenswürdigkeiten Berlins zum Inhalt der Studienfahrt. Ein Spaziergang mit Kurzreferaten führte vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz, ein zweiter vom Opernplatz zu den Hackeschen Höfen. Und auch ein Besuch des Kabaretts „Distel“, einen Abstecher zum Olympiastadion sowie das Mauermuseum an der Bernauer Straße sah das Programm vor. Eine eindrückliche Open-Air-Dokumentation mit Lasershow-Elementen und tollem Soundtrack brachte auf der Freitreppe hinter dem Reichstagsgebäude den SchülerInnen die Geschichte Berlins näher.
So war am Ende für jeden etwas dabei. Tolle Erlebnisse und Erinnerungen werden uns noch lange begleiten. Vor allem der Appell von „Kalle“ Richter kann nicht häufig genug wiederholt werden: Steht ein für unsere Demokratie!